Was ist der Sinn des Lebens?
Warum Alain de Botton meiner Meinung nach mit seiner Antwort falsch liegt.
Vor ein paar Wochen habe ich ein Interview mit dem Philosophen und Autor Alain de Botton gelesen. Ich kann nicht sagen, dass ich sein Werk gut kenne, habe jedoch auch schon ein Buch von ihm gelesen und finde seine “School of Life” eine tolle Sache. In jenem Interview war ich jedoch sehr erstaunt, wenn nicht sogar enttäuscht über seine Antwort auf eine meiner Meinung nach sehr zentrale Frage. Seine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.
„Die Frage ist so gross, dass man sie zerlegen muss. Ich denke, es geht darum, zu wissen, was das Leben lebenswert macht. Und auch wenn es schwierig ist zu generalisieren, würde ich doch sagen, dass es das Leben lebenswert macht, wenn man von einem anderen Menschen verstanden wird, wenn man sich selbst versteht, wenn man im Leben eines anderen Menschen etwas Positives bewirkt. Und das kann auch nur sein, jemand Fremdem einen guten Tag zu wünschen.“
Alain de Botton in der NZZ am Sonntag vom 8.1.2023
Erst einmal klingt das alles eigentlich wunderbar. Es erstaunt mich jedoch, dass ein so bekannter Philosoph die Frage nach dem Sinn des Lebens danach auslegt, was das Leben lebenswert macht. Das ist mir zu einfach. Der Sinn des Lebens soll sein, von anderen Menschen verstanden zu werden, etwas Positives zu bewirken und damit ein lebenswertes Leben zu haben?
Ich denke, wir dürfen die Antwort nach dem Sinn des Lebens nicht innerhalb ebendieses Lebens suchen. Also nicht in der Qualität, wie dieses Leben geführt wird. Klar erscheint einem ein gut geführtes Leben sinnvoller, aber deshalb existieren wir doch nicht. Und würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass ein nicht so gut geführtes Leben keinen Sinn hat? Diese Ansicht wäre absurd.
Für mich geht es bei der Frage nach dem Sinn des Lebens um die Frage nach dem Sinn unserer Existenz. Weshalb gibt es Menschen? Welchen Sinn macht das? Und erst danach kann man sich aus meiner Sicht die Frage stellen, wie man sein Leben entsprechend sinnvoll gestalten könnte.

Natürlich können wir niemals wissen, weshalb wir existieren. Niemand wird uns diese Frage je beantworten können. Ich persönlich glaube jedoch, dass es keinen Unterschied gibt in der Begründung der Existenz der Menschen im Vergleich zu allen anderen Lebewesen oder Elementen. Alle sind Teil der Natur, alle werden getragen von der Kraft des Lebens. Entsprechend glaube ich, der Sinn unserer Existenz liegt darin, zu leben und sich dem Leben hinzugeben. Damit meine ich, sich seiner Lebendigkeit bewusst zu werden, sich als Teil des Lebens, als Teil des Lebensflusses zu verstehen. Leben ist für mich dabei alles, was wir heute Natur nennen und der Lebensfluss die zyklische Weiterentwicklung, der ständige Prozess des Werdens und in die Welt bringen. Einige nennen das Evolution, ich nenne dies am liebsten einfach Leben.
Aus diesem Verständnis von unserer Existenz als Teil des Lebensflusses folgt für mich, dass der Sinn des Lebens darin besteht, sich dem Leben zur Verfügung zu stellen. Mitzumachen in diesem Lebensfluss, ja zu sagen zum Prozess des Werdens. Das kann zum Beispiel bedeuten, Kinder zu haben und damit zu sorgen, dass das Leben weitergeht. Oder es könnte auch bedeuten, sich einem Erkenntnisprozess zu widmen und damit zum Prozess des Werdens beizutragen. Manche mögen sich auch für die Natur einsetzen und zum Beispiel dafür sorgen, dass der Mensch sich aus gewissen Gebieten wieder zurückzieht und dort das Leben ohne unseren Einfluss gedeihen kann. Und schliesslich könnte es auch heissen, dafür zu sorgen, dass andere ein gutes Leben haben. Zum Beispiel indem ich einen Stuhl schreinere, ein Lied schreibe oder auch Finanzgeschäfte für sie abwickle.
Damit sind wir nun doch wieder ziemlich nahe bei Alain de Botton. Jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir unser Leben nicht mit diesen Dingen füllen, um einfach etwas Positives zu bewirken, sondern um uns dem Leben zur Verfügung zu stellen und der Lebendigkeit zu folgen. Für mich ist die Quelle entscheidend, aus der wir unsere Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens schöpfen. Und diese besteht aus unserer Antwort auf die Frage nach dem Sinn unserer Existenz. Der Sinn des Lebens liegt für mich dementsprechend darin, dass wir Menschen teilnehmen am Lebensfluss, dass wir demütig sind vor dem Leben und demütig vor der Lebendigkeit aller Elemente in unserem Ökosystem.
Und für dich, was ist für dich der Sinn des Lebens?
Ich lese gerade das Buch von Viktor Frankl „….trotzdem Ja zum Leben sagen“. Bei mir haften bleibt, dass wir uns nicht fragen müssen, was wir vom Leben erwarten sondern was das Leben von uns erwartet. Seine Definition: „Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“ Mein fast 96 jähriger Schwiegervater hat mir vor Jahren gesagt, das Leben sei Pflichterfüllung. Damals fand ich noch: Moment, das kann ja nicht sein, wo bleibt da die Freude - war Pflicht doch eher mit „Müssen“ konnotiert bei mir. Heute, etwas reifer, sehe ich das ein wenig anders, aber nicht weniger freudvoll. Denn tatsächlich beschreibt Frankl nicht nur die Pflicht, Leid anzunehmen sondern genauso Momente des Geniessens…… schön, dass ich deinen Text jetzt grad gefunden habe!