Was wäre eigentlich für uns Menschen artgerechte Tierhaltung?
Über eine Frage, die meiner Meinung nach zu wenig Beachtung findet.

Neulich habe ich eine interessante Buchbesprechung gelesen, es ging um das Buch „Der Mensch als Tier“ des Philosophen Markus Gabriel. Ich kannte ihn nicht, das Thema des Buches klingt jedoch sehr interessant. Gabriel schreibt darin über die uralte Frage, was der Mensch für ein Tier sei. Aristoteles etwa sprach vom Menschen als vernunft- und sprachbegabtem Tier, einem “animal rationale”. Mir gefällt natürlich, dass man in der NZZ lesen kann, dass der Mensch ein Tier und damit Teil der Natur ist. Dennoch bleibt bei mir nach der Lektüre ein wenig der Eindruck, dass in diesem Artikel „Der Mensch ist Teil der Natur“ zu fest nur aus der biologischen Perspektive betrachtet wird.
Natürlich ist die Biologie eine Tatsache und ein wichtiger Teil des Verständnisses davon, wer oder was wir sind. Aber gleichzeitig ist es auch derjenige Teil, den die meisten wohl längst verstanden haben. Und der zu keiner Veränderung anregt. Was meiner Meinung nach fehlt - und wodurch auf unserer Welt vielleicht auch so viel Übel entsteht - ist der philosophische, oder vielmehr: spirituelle Teil. Was bedeutet es, Teil der Natur zu sein? Was für Folgen bringt das für unser Handeln? Was sollten wir tun? Was nicht? Und dazu gehört für mich die Frage, was eigentlich für den Homo Sapiens artgerecht wäre.
Oftmals ist zu hören, dass eine Sache unnatürlich sei und es daher besser wäre, sie zu unterlassen. Doch aus meiner Sicht geht es nicht darum, was natürlich ist. Mit Yuval Noah Harari gesprochen, ist aus biologischer Sicht nichts unnatürlich. Alles was in der Natur vorkommt, ist natürlich. Will heissen, dass zwei Männer sich küssen, ist natürlich. Dass ein Mensch ohne Hilfsmittel fliegen kann, nicht. Wie sieht es nun aber damit aus, dass wir Flugzeuge bauen? Ist das auch natürlich? Nach Harari wäre dem so. Denn es kommt vor, es ist in der Natur möglich und folglich natürlich. Das Bauen von Flugzeugen durch den Homo Sapiens ist in diesem Sinne ein Ausdruck der Natur. Und genau damit kommt meiner Meinung nach auch unsere grosse Verantwortung ins Spiel. Wir sollten uns bei all den Sachen, die wir möglich machen können, immer auch fragen, ob es sinnvoll ist, das zu tun. Oder eben: Ob es artgerecht ist, ob es uns als Spezies in der Lebendigkeit unterstützt. Oder ob es uns vom Lebensfluss und vom Rhythmus der Natur eher entfernt.
Rein biologisch zu sagen „Der Mensch ist auch ein Tier“ reicht also nicht. Die entscheidende Frage lautet meiner Meinung nach vielmehr, wie denn eigentlich für den Menschen eine artgerechte Tierhaltung aussehen könnte. Aber wie sollen wir das beantworten? Manchmal denke ich, dass wir das ja wohl kaum selber beurteilen können. Müsste das vielleicht eine andere Spezies für uns tun? Aber wie soll das gehen? An wen könnten wir diese Frage richten?
Eine Möglichkeit, die Beurteilung des Artgerechten selber vorzunehmen, wäre vielleicht, uns wieder vermehrt auf unseren Instinkt und auf unsere Intuition zu berufen. Wir glauben ja gerne, dass gerade unser Bewusstsein, unser Verstand, die Möglichkeit zur rationalen Durchdringung uns wesentlich von den anderen Tieren abhebt (schon bei Aristoteles: animal rationale). Aber tut es das wirklich? Wenn wir in einem Wald sind, dann sagt uns ja nicht der Verstand, dass das jetzt schön ist, wir spüren das instinktiv. Genauso ergeht es uns am Ufer eines Sees, wenn wir junge Katzen sehen oder lachende Kinderaugen. Wir können spüren, was passend ist, was sich richtig anfühlt. Und vor allem können wir auch das Gegenteil spüren. Wenn wir bei einer Sache kein gutes Bauchgefühl haben, dann sollten wir diese vielleicht besser sein lassen.
Ich finde, genau dort sollten wir ansetzen für ein artgerechtes Leben. Uns in verschiedenen Situationen bewusst die Frage stellen, ob das für uns als Spezies artgerecht ist - und diese Frage nicht nur rein mit dem Kopf, sondern mit dem ganzen Körper zu beantworten. Denn das “Bauchgefühl” könnte ja auch mal aus den Zehen kommen, oder aus den Haaren auf dem Nacken, einem Ziehen in der Brust.
Was hättest du in deinem Leben anders gemacht, wenn du mehr auf dein Bauchgefühl, statt auf deinen Verstand gehört hättest?
PS. Wem der eigene Instinkt vorerst noch nicht reicht: Es gibt ein wunderbares Buch von Markus Strauss mit dem Titel “Artgerecht. 13 Thesen zur Zukunft des Homo Sapiens”. Er beschreibt darin die historische Entwicklung in 13 verschiedenen Lebensbereichen und formuliert konkrete Empfehlungen, wie wir wieder mehr zum Artgerechten finden könnten. Auch die Bücher von Nicola Schmidt zu artgerechter Kindererziehung sind sehr lesenswert.