Was können wir tun gegen Littering?
Gedanken über das achtlose Wegwerfen von Abfall - und über Selbstliebe als mögliche Lösung.

Unser Haus liegt an einer Quartierstrasse, die von vielen Velofahrern und Fussgängern genutzt wird. Die Strasse gehört einer Strassenvereinigung, von der wir als Hauseigentümer Mitglied sind. Einmal pro Woche sind wir daher angehalten, den Strassenabschnitt vor unserem Haus zu kehren, was ich am Samstag gemacht habe. Eigentlich kann ich alles, was ich da zusammenwische, in unserem Garten auf den Kompost werfen - mit einer Ausnahme: Zigarettenstummeln. Heute habe ich 10 Stück von Hand aus dem gekehrten Haufen aussortiert. In der vergangenen Woche haben also zehn Personen ihre Zigarettenkippen bei uns vor dem Haus auf die Strasse geworfen (oder auch weniger, falls es mehrmals die gleiche Person war). Wer macht sowas? Und was denken die sich eigentlich dabei?
Bevor wir letzten Sommer in unser Haus eingezogen sind, haben wir drei Jahre lang im alten Pfarrhaus gewohnt. Das Pfarrhaus ist wunderschön auf einer Anhöhe mitten in Kriens gelegen, direkt neben der Kirche und unweit des Kirchbühlschulhauses. Der Platz vor dem Pfarrhaus ist öffentlich und die Oberstufenschüler vom Kirchbühl haben sich in der Mittagspause oft dort getroffen. Bis sie der Pfarreileiter dann fortgeschickt und ihnen den Aufenthalt auf dem Platz verboten hat. Er war es leid, dass er ständig die Zigarettenkippen und Energydrink-Dosen der Schüler wegräumen musste.
Auch ich habe immer wieder Abfall zusammengeräumt auf dem Platz vor dem Pfarrhaus. Und ich habe auch mit den Schülern gesprochen und ihnen erklärt, dass wir da wohnen und ich sie daher bitte, ihren Abfall in den Eimer zu werfen oder wieder mitzunehmen. Genützt hat das aber nur bedingt, daher hat unser Nachbar, der Pfarreileiter, die Schüler schliesslich fortgeschickt. Weshalb werfen sie ihren Abfall einfach auf den Boden, auch wenn 10 Meter weiter ein Abfalleimer steht? Und weshalb hörten sie nicht auf uns, wenn wir sie gebeten haben, den Abfall bitte nicht liegenzulassen?
Weshalb landet vor allem Ungesundes auf dem Boden?
Bei Jugendlichen könnte man ja noch annehmen, dass es sich um ein Kavaliersdelikt handelt, dass es für sie ein vermeintlicher Akt der Coolness ist, ein Imponiergehabe vor den Gleichaltrigen darstellt, den Abfall auf den Boden zu werfen. Aber das Problem des achtlosen Wegwerfens von Abfall, auch Littering genannt, ist zu weit verbreitet, als dass man es nur den Jugendlichen und dem jugendlichen Übermut in die Schuhe schieben könnte. Mein Eindruck ist, dass vor allem Verpackungen oder Reste von Ungesundem auf dem Boden landet: Zigarettenstummel, Energydrink-Dosen, Süssgetränk-Flaschen, Schokoriegel-Papierli. Liegt dies nun daran, dass Personen, die sich bewusst und gesund ernähren, auch eher ein gesundes Naturbewusstsein haben und daher nichts auf den Boden werfen? Im Umkehrschluss wäre die Ignoranz gegenüber der Natur - oder auch die Ignoranz gegenüber dem Reinigungspersonal, das den Abfall wegräumen muss - gespiesen aus einer Ignoranz gegenüber der eigenen Gesundheit. Oder statt Ignoranz könnte man auch sagen: blinder Fleck, Unwissenheit, Desinteresse.
Ich finde es unverständlich, dass vor allem Raucher so oft ihre Kippen einfach achtlos auf den Boden werfen. Nun, natürlich ist es naheliegend, dass Nichtraucher keine Kippen auf den Boden werfen, aber weshalb tun die Raucher das? Weshalb können sie nicht die wenigen Meter bis zum nächsten Abfalleimer resp. Aschenbecher gehen oder noch besser, einen kleinen Taschenaschenbecher mitführen und dort ihre Zigarettenstummeln entsorgen? Meine Hypothese ist, dass dieser Akt des Zigaretten-auf-den-Boden-werfens eine Dissonanzreduktion darstellt. Indem die Raucher die Zigaretten einfach auf den Boden oder in die Wiese werfen, können sie sich selber suggerieren, dass diese gar nicht ungesund sind. Da sie sich die Zigaretten resp. den Tabak und das Nikotin in den eigenen Körper einverleiben, glauben sie vielleicht, dass es sich um ein natürliches Abfallprodukt handelt, das auch wieder der Natur zugeführt werden kann. Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorstellen, dass die Raucher sich bewusst sind, welche Giftstoffe sie da auf den Boden werfen - denn damit müssten sie sich ja auch eingestehen, dass sie diese Giftstoffe in ihren Körper saugen.
An Bahnhöfen fällt mir immer wieder auf, dass Rauchende kurz vor der Abfahrt ihre Kippen unter den Zug werfen. Da muss ich jeweils an den Spruch „Aus den Augen, aus dem Sinn“ denken. Das Absurde ist jedoch: Sobald der Zug abfährt, kommen die vielen Kippen auf den Geleisen wieder zum Vorschein. Es gibt kein Verstecken, Rauchen ist und bleibt ungesund.
Der Moralfinger kann nach hinten losgehen
Vor ein paar Jahren habe ich ausprobiert, was passiert, wenn ich Menschen direkt darauf anspreche, sobald ich sehe, dass sie ihren Abfall auf den Boden werfen. Am Hauptbahnhof Zürich war die Reaktion eines Jugendlichen blitzschnell “Aber die anderen machen das auch”, in der Nähe des Bahnhofs Bern kam es zu einer Situation, die ungleich brenzliger hätte werden können. Am Fussgängerstreifen hat ein junger Typ direkt vor mir seine leere Chicken-Nuggets-Verpackung hinter sich auf den Boden geworfen. Ohne viel zu überlegen habe ich die Packung aufgehoben und ihm mit folgenden Worten wieder entgegengestreckt: “Exgüsee, dir ist da etwas auf den Boden gefallen”. Diesen Spruch fand er aber gar nicht lustig. Mit sehr ernstem, ja fast aggressivem Blick fragte er zurück: “Bist du alternativ?”
An dem Fussgängerstreifen stehend, von welchem man zur Berner Reitschule gelangen kann, dem Treffpunkt der alternativen Szene in Bern, war mir sofort klar, dass ich jetzt aufpassen muss, was ich sage. Vielleicht hätte er nur zu gern einem “Reitschüler” eine reingehauen? Dass ich das nicht war, musste ich jetzt schnell klar machen. Ich antwortete daher knapp: “Nein”. Doch das reichte ihm noch nicht. “Bist du grün?”, fragte er mit demselben aggressiven Blick, ich wiederum: “Nein”. “Bist du links?”, ich antwortete nochmal mit “Nein”. Während des ganzen Gesprächs hatte ich ihm immer noch seine Chicken-Nuggets-Packung hingestreckt. Schliesslich wurde die Ampel grün, sein Kollege nahm mir die Packung aus der Hand, schaute mich entschuldigend an, die Gruppe ging über die Strasse, ich auch, und die Spannung war aufgelöst.
Aus dieser Geschichte habe ich gelernt, dass es anscheinend “alternativ”, “grün” oder “links” ist, Abfall vom Boden aufzuheben. Wichtiger war aber für mich die Erkenntnis, dass es nichts bringt, Menschen mit dem Moralfinger zu begegnen. Auch wenn ich seine Reaktion absurd fand, kann ich nachvollziehen, dass es auf ihn provokativ gewirkt hat, dass ich ihm seinen Abfall wieder unter die Nase gestreckt habe. Ich habe gemerkt, dass diese Art der Konfrontation nicht mein Ding ist. Stattdessen bin ich dazu übergegangen, dass ich manchmal den Abfall, der am Boden liegt, einfach auflese und ohne Worte im nächsten Abfalleimer entsorge.
Vorschläge gegen Littering in Kriens
In der Zeit, als ich noch vor dem Pfarrhaus Zigarettenstummeln aufgesammelt habe, hat die Stadt Kriens einen Wettbewerb gegen Littering ausgeschrieben. Gesucht wurden Ideen und Vorschläge, wie die Menschen dazu gebracht werden könnten, ihren Abfall in die dafür vorgesehenen Abfallbehälter zu werfen oder wieder mit nach Hause zu nehmen. Da dies genau das Thema war, welches mich mit den Jugendlichen vor unserem Haus gerade beschäftigt hat, war ich sehr begeistert von dieser Ausschreibung. Also habe ich mich hingesetzt und ein paar Ideen aufgeschrieben.
Leider habe ich jedoch nie eine Reaktion auf meine Einsendung erhalten und habe bald festgestellt, dass die entsprechende Internetseite kriens.ch/sauber nicht mehr existiert. Rund ein halbes Jahr später, im April 2023, kam schliesslich doch noch Bewegung in die Sache: In der Zeitung war zu lesen, dass Kriens neuartige “Wurfkübel” testen will, um gegen Littering vorzugehen. Anfang 2024 folgte dann aber das Aus: die Würfkübel werden wieder “gekübelt”. Der Versuch habe nicht funktioniert.
Auch wenn ich es schade finde, dass Kriens im Vorgehen gegen Littering nun immer noch nicht weiter ist, finde ich es gut, dass einmal etwas Neues, Spielerisches ausprobiert wurde. Ich habe vor einer Woche bei der Stadtverwaltung nachgefragt, wie es nun im Thema “gegen Littering” weitergeht, aber bis jetzt noch keine Antwort erhalten. Damit meine im Herbst 2022 erdachten Vorschläge gegen Littering nicht ganz für die Katz waren, möchte ich diese nun gerne hier teilen. Ich führe sie so auf, wie ich sie damals eingereicht habe: Ich habe die Ideen jeweils kurz beschrieben und Annahmen aufgeführt, weshalb ich denke, dass diese Ideen wirksam sein könnten. Gruppiert habe ich die Ideen nach meiner Einschätzung der Umsetzbarkeit.
Gamification 1: Abfalleimer sammeln als Spiel
Beschreibung der Idee
Eine App entwickeln, wo erfasst werden kann, wer wieviel Abfall gesammelt resp. in die Abfalleimer geschmissen hat. Es gibt eine Live-Rangliste, alles ist poppig aufbereitet wie ein Handygame. Jedes Mal, wenn ich irgendwo in der Stadt Kriens etwas in einen Abfalleimer werfe, kann ich Punkte sammeln (z.B. indem ich einen QR-Code auf dem Abfalleimer einscanne) und in der virtuellen Rangliste aufsteigen.
Annahme dahinter
Der Sammelanreiz wird geweckt und motiviert die Menschen (v.a. Junge), ihren Abfall in die dafür vorgesehenen Eimer zu werfen. Dies wird noch verstärkt durch eine Online-Rangliste und dem Vergleich, wer am meisten Punkte gesammelt hat, sprich die Rangliste anführt. In Kriens gibt es bereits eine App, die auf einer Karte zum individuellen Sammeln anregt (IK Kriens), neu wäre hier zusätzlich noch die Rangliste.
Aufwand für Umsetzung
hoch
Gamification 2: Monster füttern
Beschreibung der Idee
Als Ergänzung zur Idee Gamification 1: Die Kehrichteimer als Fantasie-Figuren gestalten, die man sammeln kann. Dabei hat jeder Kehrichteimer - oder zumindest die an viel frequentierten Plätzen - einen eigenen Namen und ein eigenes Aussehen (z.B. als kleines Monster). Der Mund der Kreatur ist jeweils die Öffnung des Abfalleimers. Dies lässt sich entweder mit einer Umgestaltung / Ergänzung der Abfalleimer physisch realisieren (z.B. als Projekte durch Schulklassen) oder auch nur virtuell mit Augmented Reality, ähnlich dem vor ein paar Jahren sehr beliebten Spiel „Pokemon Go“. Das heisst, wenn ich die App geöffnet habe und das Handy mit aktivierter Kamera auf den Abfalleimer halte, sehe ich auf dem Bildschirm das Monster, das ich füttern kann.
Variante 1
Es wäre auch möglich, nur die Umgestaltung zu Fantasiewesen zu realisieren (d.h. ohne Punktesammeln via App). Damit wäre der Anreiz dann eher beim Füttern der verschiedenen Wesen.
Variante 2
Die verfügbaren „Monster“ könnten in einer App auf einer Karte eingetragen sein. Gleichzeitig liesse sich damit auch gleich aufzeigen, wo der nächste Abfalleimer steht.
Annahme dahinter
Es macht mehr Spass, ein Monster zu füttern, als Abfall in einen Kübel zu werfen. Zudem wird auch hier der Sammelanreiz geweckt.
Aufwand für Umsetzung
mittel (nur Umgestaltung der Abfalleier als Fantasie-Figuren) bis hoch (inkl. App)
Krienser Taschenabfallseckli: Abfall wieder mitnehmen erleichtern
Beschreibung der Idee
Bei Rauchern beobachte ich, dass sie ihre Zigarettenstummel eher wieder mitnehmen, wenn sie einen Taschenaschenbecher dabeihaben. Sehr viele Personen kenne ich aber noch nicht, die einen solchen besitzen. Daher folgende Idee: Die Stadt Kriens verteilt Taschenaschenbecher – oder verkauft diese sehr günstig (ähnlich der Aktion mit den Einkaufswagen während der Fussverkehrswoche). Als weitere Variante wären auch wiederverwendbare Taschenabfallseckli möglich, mit welchen der auf Ausflügen angefallene Abfall einfach wieder mit nach Hause genommen werden kann. Beides liesse sich aus rezyklierten Materialen herstellen, z.B. als Projekt von Schulklassen oder Vereinen.
Annahme dahinter
Viele Menschen würden den Abfall schon mit nach Hause nehmen, haben aber oftmals nichts dabei, wo sie den Abfall reinpacken könnten, und wollen sich ihre Taschen nicht schmutzig machen. Mit dem entsprechenden Taschenabfallseckli würden sie das aber machen.
Aufwand für Umsetzung
mittel
Der Abfallturm auf dem Stadtplatz: Bevölkerung sensibilisieren
Beschreibung der Idee
Den während dem Clean-up Day gesammelten Abfall während einer Woche auf dem Stadtplatz auftürmen (z.B. in einem Gitterturm).
Annahme dahinter
Wenn die Leute sehen, wie viel Abfall an einem Tag in der Stadt gesammelt wird, regt sie das zum Nachdenken an – und hoffentlich auch zum Umdenken resp. Umhandeln.
Aufwand für Umsetzung
gering
Variante
Clean-up-Day ausweiten auf eine Clean-up-Week und gesammelten Abfall laufend auftürmen. Zum Beispiel mit verschiedenen Ziellinien auf dem Turm („Schaffen wir es als Bevölkerung von Kriens so viel zu sammeln?“ und dann beim Erreichen: „Schaffen wir noch mehr?“).
Annahme dahinter
Gemeinsame Sammelziele motivieren weitere Personen, an der Putzaktion mitzumachen und es regt sie an, sich in Zukunft anders zu verhalten, wenn sie mitgesammelt haben (sie «tragen» mehr mit).
Aufwand für Umsetzung
gering bis mittel
Sozialpsychologischen Anreiz setzen:
Die anderen nehmen den Abfall auch mit nach Hause
Beschreibung der Idee
Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen beim Thema Nachhaltigkeit eher Hinweisschildern folgen, die an eine soziale Norm erinnern, statt Hinweisschildern, die an die Moral appellieren (vgl. https://academic.oup.com/jcr/article/35/3/472/1856257). Entsprechend ist meine Idee, an den „Abfall-Hot-Spots“ in Kriens Hinweisschilder anzubringen mit folgender Nachricht:
«Fast 75% der Personen, die diesen Ort besuchen, werfen ihren Abfall in den dafür vorgesehen Abfalleimer oder nehmen ihn wieder mit nach Hause. Danke, dass du auch mithilfst, diesen Ort sauber zu halten.»
Annahme dahinter
Die soziale Norm wirkt stärker als Moral-Appelle, da die Menschen sich zur sozialen Gruppe (=Bevölkerung von Kriens) zugehörig verhalten möchten.
Aufwand für Umsetzung
gering
Eine Frage der Erziehung?
Achtlos auf den Boden geworfener Abfall ist aus meiner Sicht ein Ausdruck einer fehlenden Naturverbindung, in anderen Worten, ein Ausdruck der Trennung. Natürlich taugen die oben aufgeführten Vorschläge nicht, um dieses Problem an der Wurzel zu packen. Es handelt sich vielmehr um spielerische Ansätze, um vor allem Jugendliche dazu zu bewegen, ihren Abfall in die dafür vorgesehenen Eimer zu werfen oder wieder mit nach Hause zu nehmen. Denn Jugendliche zu mehr Naturverbundenheit und Umweltverständnis zu erziehen, kann meiner Meinung nach nicht die Aufgabe der Stadt sein. Sondern: die Aufgabe der Eltern, mit Unterstützung von anderen Erwachsenen Bezugspersonen (Grosseltern, Tanten, Onkel, Lehrer, Trainerinnen etc.). Daher blieben meine Vorschläge zum Eindämmen von Littering bewusst ein wenig an der Oberfläche. Denn ich kann keine Kinder oder Jugendliche erziehen, zu denen ich keinen Bezug habe. Fremde Kinder zu erziehen steht mir nicht zu und ist wahrscheinlich auch gar nicht möglich. Was ich tun kann, wenn ich nicht Bezugsperson bin, hat der Pfarreileiter vorgelebt: Regeln setzen. Wenn ihr unseren Platz benützen möchtet, dann müsst ihr euch an unsere Regeln halten, damit alle Freude an diesem Platz haben können. Wenn euch das nicht gelingt, müsst ihr euch einen anderen Platz suchen.
Am meisten gegen Littering unternehmen kann ich also wahrscheinlich in der Beziehung zu meinen eigenen Kindern. Und für Kinder wirkt meist viel stärker, was ich tue, als was ich sage. Daher versuche ich, meinen Kindern bewusst ein Vorbild zu sein. Dass wir unseren eigenen Abfall immer in den Eimer werfen oder wieder mit nach Hause nehmen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Indem wir auch noch gemeinsam herumliegenden Abfall auflesen und korrekt entsorgen, bleibt bei meinen Kindern vielleicht noch mehr hängen. Und ich bin überzeugt, dass es dadurch auch zukünftigen Abfallsündern erschwert wird, ihren Müll auf den Boden zu werfen. Im Sinne der “Broken-Windows-Theorie” glaube ich nämlich, dass an einem Ort, wo schon Abfall auf dem Boden liegt, schneller noch mehr Abfall auf den Boden geworfen wird. An einem sauberen Ort jedoch ist es schwieriger, etwas auf den Boden zu werfen. Daher ist das Säubern von öffentlichen Plätzen (zum Beispiel einer Parkbank) aus meiner Sicht ein sinnvolles Vorgehen gegen Littering. Und am sinnvollsten ist es meiner Meinung nach, hier die eigenen Kinder mit einzubeziehen, ihnen ein gutes Beispiel vorzuleben und mit ihnen darüber zu sprechen, weshalb wir es nicht in Ordnung finden, wenn Abfall auf dem Boden landet.
Eine Frage der Selbstliebe
Die Problematik rund um Littering bringt exemplarisch auf den Punkt, wie vielschichtig das Narrativ der Trennung ist, welches unsere Gesellschaft aktuell so stark prägt. Denn es geht nicht nur darum, dass wir getrennt sind von der Natur oder von anderen Menschen, sondern auch getrennt von Teilen unserer selbst. Als ich 2009 in einem Sprachaufenthalt in Irland war, habe ich in einer Buchhandlung ein kleines, feines Buch gekauft. Mit dem Titel “When I loved myself enough” bietet das kleine Buch eine Sammlung schöner Sätze, was die Autorin alles anders gemacht oder neu begonnen hat, als sie sich selbst genug liebte. Ungefähr in der Mitte des Buches kommt der wunderbare Satz “When I loved myself enough, I started picking up litter on the street” - “Als ich mich selbst genug liebte, fing ich an, den Abfall auf der Strasse aufzusammeln”.
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass mir dieses Buch im Jahre 2009 in der Buchhandlung in Irland aufgefallen ist und ich es auch gekauft habe. Denn ich habe zu dieser Zeit gerade erst begonnen, mich selbst richtig zu lieben. Die Reise nach Irland war eine Art Wendepunkt in meinem Leben, ein Start in ein neues Kapitel. Warum mir aus jenem Buch gerade dieser Satz “When I loved myself enough, I started picking up litter on the street” besonders in Erinnerung blieb, kann ich nicht sagen. Vielleicht weil das Abfallsammeln hier so überraschend auftaucht? Auf jeden Fall kommt mir dieser Satz manchmal wieder in den Sinn, wenn ich unterwegs Abfall einsammle. Liebe ich mich nun also genug, wenn ich das tue? Ich weiss es nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass der Akt, Abfall auf den Boden zu werfen, leichter möglich ist, wenn ich mich selbst nicht genug liebe, wenn ich von gewissen Teilen meiner Selbst abgetrennt lebe. Dass zumeist Ungesundes wie Zigarettenstummeln oder Energydrink-Dosen auf dem Boden landet, stützt diese These aus meiner Sicht nur. Denn weshalb sollte ich diese Giftstoffe in mich aufnehmen, wenn ich mich selbst genug liebe? Wenn ich weiter oben geschrieben habe, dass das Wegwerfen der Energydrink-Dose als Dissonanzreduktion wirken könnte, könnte es vielleicht auch als Abstreifen des Ungesunden gelesen werden, als Abwerfen von Ballast.
Die nachhaltigste Form, gegen Littering vorzugehen, könnte demzufolge also sein, dafür zu sorgen, dass Menschen sich selbst genug lieben können. Und gerade hier ist es aus meiner Sicht so entscheidend, wie wir unseren Kindern begegnen. Dass wir sie nicht klein machen, da sie sich ansonsten selber klein machen. Dass wir sie unterstützen, damit sie sich selber unterstützen können. Dass wir ihre Gefühle ernst nehmen, damit sie selber ihre Gefühle ernst nehmen können. Dass wir sie lieben, damit sie sich selber lieben können.
Hast du auch schon einmal Abfall vom Boden aufgelesen? Und, was denkst du, liebst du dich selbst eigentlich genug?