Trump-Wähler, Empathie und Medienvielfalt
Sich über Trump-Wähler lustig zu machen ist nicht zielführend. Wir tun gut daran, uns mit vielen unterschiedlichen Meinungen auseinanderzusetzen. Denn es gibt nicht nur schwarz oder weiss.

Die letzte Woche war mächtig was los in den Zeitungen und auf den Webportalen dieser Welt. Viel Erstaunen über die Wahl Donald Trumps, Unverständnis, Ärger, teilweise sogar Entsetzen. Klar, ich hätte meine Stimme wohl auch nicht für Donald Trump in die Wahlurne geworfen, grundsätzlich bin ich aber einfach froh, dass ich diese Entscheidung gar nicht erst treffen musste. Ich möchte nicht in einem Land leben, welches von zwei grossen Parteien dominiert wird und wo es bei den Wahlen auf A oder B hinausläuft. A oder B, gut oder schlecht, schwarz oder weiss - wobei je nach Perspektive A gut ist und B schlecht oder genau umgekehrt. Was mich in den vielen Reaktionen und Kommentaren erstaunt, ist jedoch weniger das Resultat an sich, sondern wie auch bei uns dieses Schwarz-weiss-Denken zunimmt. Wir haben doch eigentlich ein ganz anderes politisches System, welches viel mehr Schattierungen zulässt. Weshalb spitzt sich aber auch bei uns anscheinend so vieles auf A oder B, links oder rechts, gut oder schlecht zu?
Auf Linked-in lese ich einen Post, der auflistet, was jetzt nach den US-Wahlen zu tun sei, um bewusst in die Demokratie zu investieren, die Demokratie zu stärken. So weit so gut. Jedoch werde ich hellhörig, was in der Kommentarspalte darunter ergänzt wird: Was weiter auch noch zu tun sei, sei ein Abo der Republik oder der WOZ abzuschliessen, so die Meinung eines weiteren Linked-in Nutzers. Gerne möchte ich nachfragen, weshalb er der Meinung ist, dass nur die Lektüre linker Medien die Demokratie fördern würde. Denn wer sich als guter Demokrat üben möchte, müsste meiner Meinung nach vielmehr Abos von WOZ und Republik über Tagi und NZZ bis zu Weltwoche und Nebelspalter abschliessen. Denn gerade die Vielfalt der Perspektiven bringt der Demokratie doch den grössten Gewinn (hier kannst du übrigens die links-rechts Positionierung der grössten Schweizer Medien nachschauen). Oder möchtest du etwa, dass in der Schweiz ein Bundesrat regiert, der nur von Mitgliedern einer Partei besetzt wird? Oder nur aus einem politischen Lager? Mir persönlich wäre mit einem Bundesrat, der nur aus FDP- und SVP-Vertretern zusammengesetzt ist, genauso unwohl, wie wenn nur Vertreter der SP und der Grünen unsere Regierung besetzen würden. Die Vielfalt macht es aus. Gemeinsam Lösungen suchen. Möglichst viele Personen mitnehmen, Kompromisse schliessen. Sind nicht genau das die Vorzüge des Schweizer Systems?
In der NZZ am Sonntag lese ich, wie die Schweizer Parteien immer einheitlicher werden. Während zu Beginn der Nullerjahre in den Abstimmungen im Parlament 80 Prozent der Nationalrätinnen und Nationalräte so abstimmten, wie es die Parteispitze vorschrieb, beträgt die Übereinstimmung heute über 90 Prozent. In der SP sind es sogar 98 Prozent. Praktisch alle stimmen also im Nationalrat so ab, wie die Parteizentrale es vorgegeben hat. Ich habe den Eindruck, heute leisten sich viel weniger Leute eine eigene Meinung, allzu schnell wird übernommen, was in „meiner Zeitung“ steht, was „meine Influencer“ in den sozialen Medien verbreiten oder ganz generell, was „meine Leute“ sagen. Das muss nicht per se schlecht sein, auch ich orientiere mich gerne daran, was andere in meinem Umfeld sagen und denken. Das ist ein Stückweit ja auch menschlich. Gleichzeitig liegt aber auch hier meiner Meinung nach das Schlechte im „zu viel des Guten“. Können wir in dieser Einengung der Meinungen innerhalb der politischen Parteien beobachten, was sich auch in der Breite der Gesellschaft zunehmend einschränkend auf die Debattenkultur auswirkt?
Nach der Wahl von Donald Trump war an vielen Stellen zu lesen, dass vor allem „ungebildete Menschen“, also z.B. Menschen ohne College-Abschluss, ihre Stimme für Trump abgegeben hätten. Auch wenn das demografisch gesehen Fakt ist, hatte dies zuweilen einen überheblichen Unterton, so als hätten die Menschen schon „richtig“ gewählt, wenn sie nur besser gebildet gewesen wären. Ähnliches habe ich auch im linken Milieu in meinem Umfeld schon erlebt: Wenn nur die ungebildeten SVP-Wähler nicht abstimmen dürften, dann käme alles gut. Was für eine Überheblichkeit. Ich bin froh, dass alle ihre Stimme abgeben dürfen, denn genau das sichert mir die Möglichkeit, dass ich meine Stimme auch abgeben darf. Denn man stelle sich vor, wenn die aktuell vorherrschende politische Meinung definieren könnte, dass nur die Ihren abstimmen dürfen - das hätte mit Demokratie nichts mehr zu tun. Denn wer nicht möchte, dass „ungebildete SVPler“ abstimmen dürfen, muss sich bewusst sein, dass es auf der anderen Seite genau gleich tönt. In meiner Heimat im Simmental hat mir mal jemand gesagt, es gäbe nur zwei Sorten Menschen: “Di Gschide u di Gstudierte”. Mit anderen Worten: Alle, die studiert haben, sind dumm und verstehen nichts vom “echten Leben”. Auch das natürlich eine überhebliche Anmassung. Und gerade weil heute der „Mainstream“ eher links ist und entsprechend Meinungen von Menschen, die rechts denken eher an den Pranger gestellt werden, darf man nicht vergessen, dass es nur vor ein paar Jahrzehnten noch genau andersherum war: der Mainstream war bürgerlich und alles Linke galt es bedrohlich. Nur schon der Vorwurf, ein Linker zu sein, konnte eine Karriere beenden (der Musiker Pete Seeger durfte daher zum Beispiel jahrelang nicht mehr im TV auftreten).
Wann werden wir uns endlich gewahr, dass wir uns in der Mitte begegnen sollten? Empathie und Perspektivenübernahme hat nichts mit Bildung zu tun, sondern vielmehr mit der Qualität, wie man einander begegnen und zuhören kann. Nur bin ich mit meiner Überzeugung, dass mehr Empathie der Schlüssel für ein gelingendes Zusammenleben wäre, wahrscheinlich immer noch relativ allein. Ich will aber einfach nicht glauben, dass Andersdenkende entweder als „Ungebildete“ oder „Studierte“ abzukanzeln, uns irgendwie weiterbringen wird.
Ich bin sehr froh, dass wir in der Schweiz nicht nur zwei Parteien haben, die den ganzen Diskurs dominieren, so wie das in den USA der Fall ist. Dennoch sehe ich auch bei uns ähnliche Tendenzen: Entweder bist du auf der Seite von uns oder auf der Seite von denen. Also liest „man“ folglich entweder nur linke Medien oder nur rechte und fühlt sich dann immer schön bestätigt in seiner Meinung - oder kann dem Medium erst entnehmen, welche Meinung man überhaupt haben sollte. Deshalb lese ich ab und zu die Weltwoche, weil ich finde, dass mir das genau das bringt, was der Slogan dieser Zeitschrift verspricht: “Weltwoche, die andere Sicht”. Eine andere Sicht auf das, was ich in der Luzerner Zeitung und der NZZ am Sonntag lese. Natürlich lese ich in der Weltwoche Artikel, die mir zusagen und solche, die mir nicht zusagen. Genauso wie auch in der NZZ am Sonntag (mein längstes Zeitungsabo), der Luzerner Zeitung oder auch der WOZ, die ich gelegentlich online lese. Auch hier lese ich sowohl Artikel, die ich unterstützen kann, als auch solche, die ich nicht unterstützen kann. Zugegeben, es ist ein grosser Aufwand und es gelingt mir nicht jede Woche, mir die Zeit zu nehmen für all das, was ich eigentlich gerne lesen möchte. Zumindest mit der Luzerner Zeitung und der NZZ am Sonntag kann ich jedoch Schritt halten, und erlaube mir auch hier eine andere Sicht: Immer wieder sehe ich es anders, als die Journalisten mir in ihren Artikeln vermitteln wollen. Denn das gehört für mich zu einer guten Medienkompetenz: Dass man sich bewusst ist, dass nicht alles stimmt, was in der Zeitung steht resp., dass man sich Gedanken dazu machen sollte, weshalb der Autor jetzt wohl dieser Meinung ist. Wenn etwa der Kommentator in der NZZ am vergangenen Sonntag sieben Gründe auflistet, weshalb die USA die Supermacht schlechthin bleiben wird, und dabei ganz beiläufig erwähnt, dass es nicht nur in China, sondern auch in Indien, Russland oder Brasilien gar nicht gut laufe, dann wird mir klar, dass dieser Kommentator nicht unabhängig ist. Das Benennen der BRIC-Staaten als Negativbeispiele war wohl kaum Zufall. Das will nicht heissen, dass ich ein Anhänger der BRIC bin - aber weshalb sollte ich einem offensichtlichen Anhänger der USA folgen, wenn ich mir eine unabhängige Meinung wünsche?
Was meiner Meinung nach der öffentlichen Debatte auch nicht förderlich ist, sind die vielen Reaktionen von Comedians, die sich nun über Trump-Wähler lustig machen (z.B. Hazel Brugger auf Youtube). Ich verstehe, dass ihr ja auch nur eure Fans bedienen und Clicks generieren möchtet, aber findet ihr tatsächlich, das sei intelligente Comedy? Und darüber hinaus: Wer glaubt ernsthaft, dass die über 74 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, die Trump gewählt haben, alle dumm sind? Vielmehr müssten wir uns doch fragen, was diese Leute bewegt und wie es dazu kommen konnte, dass viele Amerikaner in den letzten vier Jahren ihre Meinung geändert haben. Aufschlussreich fand ich hier beispielsweise den Bericht der Kampagnen-Arbeiterin Evan Barker, die nach über einem Jahrzehnt des politischen Engagements für die Demokraten dieser Partei den Rücken zugedreht hat (siehe “I Raised $50 Million for the Democrats. This Week, I Voted for Trump”). Solche Texte helfen viel besser, die Gräben zuzuschütten, Verbindungen herzustellen und gemeinsam nach vorne blicken zu können, als irgendwelche Verballhornungen von Trump-Wählern. Ich persönlich finde, über Trump darf man sich ja lustig machen, weil er sich öffentlich als derart irrsinnige Figur präsentiert. Aber um zu verstehen, weshalb die Leute ihn gewählt haben, da hilft dieser abwertende Humor nicht weiter. Dafür braucht es Empathie.
Bleibt natürlich die Frage, ob man sich denn überhaupt damit auseinandersetzen und “die andere Seite” verstehen möchte? Sich lustig machen ist natürlich weniger aufwendig und ermöglicht, dass man in seinem Überlegenheitsgefühl verbleiben kann. Das Ziel müsste meiner Meinung nach aber sein, Gespräche mit Andersdenkenden nicht zu führen, um zu gewinnen, sondern um das Gegenüber besser zu verstehen. Das benötigt jedoch innerlich eine ganz andere Einstellung. Diese empathische, verbindende Einstellung ist von der Überzeugung geprägt, dass auch das Gegenüber ein Mensch ist, der seine Kinder liebt und nur das Beste für sie möchte.
Ein schönes Beispiel, dass es auch anders gehen könnte, fand gestern mit dem Newsletter des Berner Musikers Trummer in meinen Posteingang:
“Es sind gute Zeiten, um zusammen zu kommen und das Gespräch zu pflegen (…). Jetzt wo auch die gerade besser mobilisierte Hälfte von Amerika beschlossen hat, eine autoritäre Starkmann-Figur zu wählen, wird der schon länger unschöne Blick in den Spiegel einfach von einem noch grösseren Spiegel zurückgeworfen. Dass wir wieder besser miteinander reden müssten, den Ton bewusster wählen, Vorwürfe durch Einladungen ersetzen, die bei weitem überwiegenden Gemeinsamkeiten unseres Menschseins zelebrieren, das wussten wir ja eigentlich auch vorher schon.”
Christoph Trummer, Musiker, in seinem November-Newsletter
Vorwürfe durch Einladungen ersetzen. Zusammenkommen und das Gespräch pflegen. Den Ton bewusster wählen. Die Gemeinsamkeiten unseres Menschseins zelebrieren. Christoph Trummer findet wunderbare Worte, um die aktuelle politische Situation zu kommentieren. Trummer ist in Frutigen aufgewachsen und wohnt heute in der Region Bern. Ähnlich wie ich ist er also aus einem “SVP-Land” in die “rot-grüne Stadt” gezogen. Ob es wohl daran liegt, dass er so versöhnliche und verbindende Worte formulieren kann? Ich habe durchaus das Gefühl, dass es mir hilft, dass ich sowohl das Landleben als auch das Stadtleben kenne. Mich sowohl in einem rechtsbürgerlichen als auch in einem linksgrünen Milieu auskenne. Ich kann nachvollziehen, was die Menschen auf dem Land bewegt, auch wenn ich seit Jahren in der Stadt wohne. Bei jedem Besuch im Berner Oberland wird mir wieder bewusst, wie unterschiedlich die Realitäten auf dem Land zu den Realitäten in der Stadt sein können. Ich glaube, eine bessere Empathie-Schulung kann es fast nicht geben.
Welche Schlüsse ziehen wir nun daraus? Entweder du kannst echte Kontakte und Freundschaften mit Menschen in einem gänzlich anderen Milieu pflegen oder du schliesst sowohl ein Abo der WOZ als auch der Weltwoche ab? Oder beides? Oder noch viel mehr? Oder was ganz anderes? Von einem bin ich auf jeden Fall stark überzeugt: Wir brauchen die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und wir tun gut daran, diesen mit Offenheit und Interesse zu begegnen.
Wie gehst du mit der zunehmenden Schwarz-weiss-Polarisierung um? Erlebst du sie überhaupt ähnlich wie ich? Und wie denkst du über Andersdenkende? Wie kommst du mit ihnen in Kontakt?