Die Natur imitieren lohnt sich mehr als die Natur dominieren
Gedanken zu Klimawandel und nachhaltiger Landwirtschaft.

Meine Frau hat einmal gesagt „Du solltest eigentlich eine Kolumne schreiben“. In gewissem Sinne mache ich das ja in diesem Blog: Ich kommentiere aktuelles Geschehen, meistens ausgelöst dadurch, was ich in der Zeitung lese. Dabei ist für mich die Frage zentral, wie wir eine Kultur der Verbundenheit stärken können, statt weiter eine Kultur der Trennung zu energetisieren, wie wir das in so vielen Bereichen unserer Gesellschaft immer noch tun. Während ich in meinen letzten beiden Texten über die Verbundenheit zu anderen Menschen geschrieben habe, komme ich in diesem Text wieder zurück zur Verbundenheit mit der Natur an sich. Mir ist übrigens bewusst, dass das Konzept „Natur“ an sich ja eigentlich auch dem Narrativ der Trennung entspringt. Sobald wir uns Menschen als Teil der Natur verstehen, dann brauchen wir eigentlich keinen Naturbegriff mehr. Natur und Wir, das wäre dann dasselbe. In diesem Blog meine ich mit „Natur“ aber meistens das, was gemeinhin als Natur bezeichnet wird: die Pflanzenwelt, die Tierwelt, den Boden, die Luft, das Wasser. Und alles dazwischen.
Wenn wie in diesem Sommer das Thermometer für längere Zeit über 30 Grad steigt, mehren sich Zeitungsberichte über möglichen Wassermangel und den Anpassungsbedarf an das veränderte Klima. Gestern war zum Beispiel ein Bericht in der Luzerner Zeitung über den Katzhof im Wiggertal, der aktuell ein neues Wassermanagementsystem installiert. Der Hof wird nach Demeter- und Biorichtlinien geführt und im Artikel wird erwähnt, wie hier zwischen den Gemüseanbauflächen grosszügige Wieslandflächen liegen, damit der Niederschlag besser versickern und Erosion vorgebeugt werden kann. Als weitere Massnahmen werden der Bau von Weihern und Biotopen sowie die Integration von „Agroforstsystemen“ erwähnt. Das bedeutet, dass bewusst Bäume und Sträucher gepflanzt werden, die den Wasserkreislauf und damit die Resilienz des Systems stärken. Ähnliche Konzepte finden sich auch in Permakulturgärten oder in der Rewilding-Bewegung. Etwa das Anlegen von Biotopen und Weihern ist hier ein wichtiges Gestaltungselement oder das Prinzip der Waldgärten nutzt bewusst die sich ergänzende Kraft unterschiedlicher Gewächse. Ein Waldgarten erhöht ebenfalls die Anbaufläche, indem nicht nur am Boden, sondern auch leicht erhöht, auf mittlerer Höhe sowie hoch oben in den Bäumen geerntet werden kann. Eine einfache Anbaustruktur, die dieses Prinzip seit Jahrhunderten nutzt, sind die sogenannten „drei Schwestern“ der Mayas, in welcher Mais, Bohnen und Kürbis gemeinsam angepflanzt werden. Der Mais dient den Bohnen als Rankhilfe, die Bohnen fixieren Stickstoff und düngen so den Boden, der Kürbis hält als Bodendecker den Boden feucht. Die Resilienz, also die Anpassungsfähigkeit auf sich verändernde Umweltbedingungen, ziehen diese Garten- und Hofkonzepte aus der Diversität. Verschiedene Pflanzen und Naturelemente ergänzen sich optimal und bilden gemeinsam ein widerstandsfähiges Ökosystem.
Mich verwundert sehr, wie offensichtlich widerstandsfähige Gärten und Anbauflächen bewusst die Stärken der Natur nutzen - und wie wenig in der „modernen“ Landwirtschaft darauf zurückgegriffen wird. Gerade die hoch technisierte und durchstrukturierte Landwirtschaft steht für mich sinnbildlich für die Entfremdung von einem integralen Naturverständnis und für den Versuch der Dominanz des Menschen über die Natur. Der Boden wird kontrolliert und überwacht, Erträge maximieren ist das oberste Ziel und unterstützt wird alles durch „intelligenten“ Einsatz von Maschinen oder Agrarchemie. Daraus resultieren zum Teil riesige Flächen mit Monokulturen, die nicht nur langweilig aussehen, sondern auch immer schwerer zu bewirtschaften sind. Mich überrascht es eigentlich nicht, dass traditionelle Landwirte sich nicht vorstellen können, dass zum Beispiel die Bewirtschaftung eines Gemüsefeldes auch ohne Pestizideinsatz möglich ist. Denn ihre Felder sind wahrscheinlich durch jahrzehntelange monokulturelle Bewirtschaftung derart verkommen, dass ohne Einsatz von Chemie und massiver Düngung nichts mehr gedeiht. Dass gerade der Einsatz von Düngemitteln längst nicht mehr in einem natürlichen Rahmen ist, wird zum Beispiel in der Region Luzern daran erkennbar, dass der Sempachersee seit Jahren künstlich belüftet werden muss, weil durch die massive Düngung in der Region zu viel Stickstoff im See landet. Ohne die Zugabe von Sauerstoff könnten die Fische nicht mehr überleben.
Werden diese der Natur schadenden Praktiken der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit diskutiert? Bisher kaum. Doch durch den Klimawandel könnte sich dies nun ändern. Der Klimawandel wird meines Erachtens aber nicht der eigentliche Grund sein für eine mögliche Krise in der Landwirtschaft. Die sich verändernden Temperaturen und Niederschlagsmuster (z.B. Sommer mit weniger Regentagen, dafür mehr Starkregen) zeigen vielmehr auf, dass die hochtechnisierte und auf Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft definitiv an seine Grenzen stösst. Vor einiger Zeit habe ich ein Video gesehen von einem riesigen Landwirtschaftsbetrieb in Kanada, in welchem kilometerweite, eintönige Felder von riesigen, autonom fahrenden Maschinen bewirtschaftet werden. Solche Bilder machen mich nicht nur sprachlos, sondern vor allem traurig: Was tun wir der Natur da an? Stellen wir uns so den Fortschritt vor? Mit Natürlichkeit hat das nicht mehr viel zu tun und nachhaltig ist diese Art der Landwirtschaft wohl kaum. Denn: Etwas ist dann nachhaltig, wenn man es ewig machen kann. Die Grenzen sind jedoch vielleicht schon bald erreicht. Wie gesagt, liegt die Schuld meiner Meinung nach jedoch nicht beim Klimawandel, sondern bei der entarteten Landwirtschaft, welche versucht die Natur zu dominieren und zu kontrollieren. Und sie dadurch zerstört.
Es ist aus meiner Sicht eine schöne und notwendige Entwicklung, wenn nun vermehrt über Beispiele berichtet wird, in denen ein Landwirtschaftsbetrieb Monokulturen aufbricht, verschiedene Pflanzentypen integriert und bewusst unterschiedliche Flächen nebeneinander gestaltet, um die Resilienz des Ökosystems zu stärken. Gleichzeitig ist es aber auch ein wenig merkwürdig, dass wir versuchen, in diesen erfolgsversprechenden Systemen das nachzubauen, was die Natur sowieso von sich aus machen würde. Denn in der Natur gibt es keine Monokulturen und gesund ist ein Ökosystem dann, wenn verschiedene Elemente im Gleichgewicht sind. Und das Gleichgewicht wird sich früher oder später immer wieder von selbst einstellen. Ein Wald etwa braucht eigentlich keine Betreuung, der findet von selbst die für ihn ideale Form. Und wenn er einmal aus dem Gleichgewicht gerät (z.B. durch massive Trockenheit oder Käferbefall), wird er sich auch ohne menschlichen Eingriff wieder erholen. Dies dauert dann aber wahrscheinlich viel länger, als es uns Menschen lieb ist. Weil wir mit dem Wald bestimmte Interessen verfolgen, die wir durch das Ungleichgewicht bedroht sehen (z.B. Holzwirtschaft oder Lawinenschutz), greifen wir ein. Die Vorstellung, dass der Wald uns Menschen braucht, ist aus meiner Sicht jedoch absurd. Denn als selbstorganisiertes und sich selbst erneuerndes System strebt die Natur automatisch nach Gleichgewicht - auch wenn es aus einer menschlichen Perspektive sehr lange dauern kann, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Der Mensch ist hier wahrscheinlich zu ungeduldig. Ich kann diese Ungeduld aber eigentlich auch nachvollziehen, wenn ich an die unterschiedlichen Lebenserwartungen denke: Ein Mensch wird durchschnittlich 80 Jahre, in seltenen Fällen 100 Jahre alt, während eine Tanne 400 Jahre, eine Buche 500 Jahre, eine Eiche 900 und eine Linde gar bis zu 1000 Jahre alt werden kann. Wir Menschen haben folglich eine ganz andere Perspektive auf natürliche Prozesse und Rhythmen. Dazu kommt, dass die Beschleunigung und Maximierung in der Landwirtschaft eben auch zu massiven Ertragssteigerungen geführt hat. Bis jetzt hat diese technisierte Form der Landwirtschaft gut funktioniert. Bis jetzt.
Wenn die Erträge nun immer häufiger durch Trockenheit oder Starkregen gefährdet werden, dann gründet das Übel meiner Meinung nach darin, dass sich die Landwirtschaft derart von selbstverständlichen Mustern und Kreisläufen der Natur entfernt hat. Weshalb versuchen wir, die Natur zu dominieren? Welchen Glaubenssätzen entspringt diese Haltung?
Ich bin der Meinung, wir müssten uns wieder vermehrt in Demut üben, uns über die Natur wundern, sie bewundern und von ihr lernen. Damit strebe ich nicht nach einem naiven, romantisierten Bild von „Retour à la nature“, sondern ich argumentiere bewusst im Sinne von Ertrag und Nachhaltigkeit. Wir können nicht ewig so weiter machen. Dass wir die Natur kontrollieren können, ist eine Illusion. Gerade wenn Menschen mit Land und Boden arbeiten, bin ich fest überzeugt: der Versuch, die Natur zu imitieren lohnt sich mehr, als der Versuch sie zu dominieren.
Oder wie siehst du das?