Brauche ich ein 3D-Bild meines werdenden Kindes, um eine Bindung zu spüren?
Wie in dieser Annahme der Frauenärztin einiges davon drinsteckt, was meiner Meinung nach mit unserer Welt aktuell nicht stimmt.
Einer der Gründe, warum ich diesen Blog starte, geht zurück in die Zeit, als meine Frau mit unserem zweiten Kind schwanger war. Wir hatten einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung im Spital. Es war die erste Untersuchung im Spital und wir hatten entschieden, dass wir in dieser Schwangerschaft nur ein bis zwei Ultraschalls machen möchten. Wir sind also bei der Ärztin, sie macht die Kontrolle, alles ist wunderbar. Dann der Schlüsselmomemt: Sie sagt, sie mache jetzt noch ein Bild in 3D. Ich sage, dass mir das nicht so wichtig sei, darauf entgegnet sie: „Es ist eben schon gut für die Bindung.“ Ich bin leicht irritiert. Es ist eben schon gut für die Bindung? Soll das heissen, wenn ich kein 3D-Bild von unserem werdenden Kind habe, ist es schwieriger für mich, eine Bindung zu ihm aufzubauen? Wir nehmen das Bild mit, sprechen auf der Rückfahrt noch kurz darüber und lassen das Thema danach wieder los.

Das 3D-Bild hängt seither am Anschlagbrett in unserer Küche. Tadeo ist mittlerweile fünf Monate alt, er gedeiht wunderbar und jeden Tag macht es mich glücklich, ihn zusammen mit seinem grösseren Bruder Yaro in die Arme zu schliessen. Zu sehen, wie er mich anlacht, wie er Freude hat an seinem Bruder, wie er seine Mutter anhimmelt. Ihn zu spüren, ihn zu hören, ihn zu riechen.
Letzthin habe ich per Zufall wieder mal das 3D-Bild angeschaut und dabei gespürt, wie mich das immer noch ein wenig irritiert. Was ist das für eine Welt, in der eine Ärztin einem werdenden Vater sagt, er brauche ein 3D-Bild von seinem werdenden Kind, damit er zu ihm eine Bindung aufbauen kann? Ok, genau so hat sie es nicht gesagt, aber ihre Aussage und die Art und Weise, wie sie das gesagt hat, ging ganz klar in diese Richtung. Und wohlbemerkt: Es war eine gute Ärztin. Ich mochte sie und sie hat das wunderbar gemacht. Sie hat auch ganz leicht akzeptiert, dass wir die Geburt unter der Leitung von Hebammen in einem Geburtshaus in der Nähe planen. Und vielleicht ist es genau das: Dass eine gute Ärztin in einer Selbstverständlichkeit so etwas sagen kann. Dass wir in einer Welt leben, in der immer mehr Bereiche unseres täglichen und nicht-so-täglichen Lebens von Technologie durchdrungen werden. Für so vieles braucht es jetzt eine App, alle möglichen Bereiche sollen digitalisiert werden. Für alles mögliche gibt es ein technisches Hilfsmittel, ein Gerät, das nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Herstellung sehr viele Ressourcen verbraucht.
Ich glaube, dass sehr viele dieser so genannten „Innovation“ schlichtweg unnötig sind. Vieles, was uns von den Marketingabteilungen dieser Welt als innovativ angepriesen wird, ist keine echte Innovation. Obwohl vieles davon technisch durchaus beeindruckend ist. Auch ein 3D-Bild aus einem Ultraschall ist beeindruckend. Aber ich brauche das nicht. Ich brauche kein 3D-Bild, um das Baby im Bauch meiner Frau zu spüren, um zu ihm eine Bindung aufzubauen. Die Bindung entsteht für mich dadurch, dass ich mit meiner Frau darüber spreche, wie sie sich fühlt, die Veränderungen in ihrem Körper wahrnehme, den wachsenden Bauch abtaste, zum Baby im Bauch spreche, seine Bewegungen spüre, ihm etwas vorsinge und es auch gedanklich immer nah bei mir halte und mit ihm bin. Indem ich mir versuche auszumalen, wer das wohl sein wird und was wir wohl alles zusammen erleben werden. Indem ich mich mit dem Kind auseinandersetze, mich auf das Kind freue.
Mein Eindruck ist, dass diese 3D-Ultraschallbilder ein Ausdruck dessen sind, was Charles Eisenstein „Story of Separation“ nennt. Wir leben in einem gesellschaftlichen Narrativ, das uns als getrennt von der Natur betrachtet, das eine Trennung von mir zu meinem Mitmenschen, ja sogar eine Abtrennung von Teilen in mir selber fördert. Ich sehe die Welt aber anders. Ich glaube, wir sind als Homo Sapiens Teil der Natur. Jedoch haben wir das vergessen und glauben vielmehr, dass wir über der Natur stehen und die Natur beherrschen können. In einer Welt der Verbundenheit brauche ich kein 3D-Bild. In einer Welt der Trennung aber ist das 3D-Bild ein weiteres Instrument, das mich von meinen Sinnen und Empfindungen distanziert. Und mir wird suggeriert, dass mein Leben ohne diese Technologie nicht gleich erfüllt sein wird.
Das stört mich. Und darüber möchte ich in diesem Blog schreiben. Ich möchte schreiben über das, was meiner Meinung nach in unserer Welt nicht stimmt und über das, was ich mir in der Welt wünsche.
Mach das, ich freue mich darauf.